Dahschah und Hayra (Schrecken und Erstaunen)

Jeder Reisende, der in den Tälern der Liebe und der freudigen Begeisterung unterwegs sind, brennt zuweilen vom Feuer der Liebe, dann wieder fließt er über vor Freude. Dieses Phänomen ist auf den Wein der Unsterblichkeit zurückzuführen, den der Geliebte ihm anbietet. Während er brennt, seufzt er: „Mundschenk, ich verbrenne, gib mir etwas Wasser! Aufmerksam schaut er durch die angelehnt stehende Tür des Geliebten und fleht: „Ich habe meinen Finger in den Honig der Liebe getaucht. Reiche mir etwas Wasser!""

Solange der Reisende nicht von weltlichen Ängsten und Erwägungen in Richtung Distanz frei ist, oder - mit anderen Worten - bevor er nicht über die Sphären der Manifestationen der Namen und Attribute, die mit den Manifestationen der Essenz Gottes beschenkt werden, hinausgeht, pendelt er weiterhin zwischen den Extremen zu brennen, zu flehen und seinen Anteil an dem reinen Trank, den Gott ihm offeriert,[1] zu erhalten. Er bemüht sich, mehr und mehr über Gott zu erfahren. Jedes neue Geschenk Gottes stärkt sein Verlangen, und dadurch, dass sein Verlangen immer stärker wird, wird er auch mit immer neuen Geschenken überhäuft. Er schmückt sein Wissen um Gott mit Gedanken und Gefühlen, die zwischen seinem Herzen und den Dingen hin und her wandern. Wie eine Honigbiene, die von Blume zu Blume fliegt und dabei die Blumen zu einer Quelle des Honigs macht, sammelt er den Nektar des Wissens um Gott aus den Manifestationen der Namen und Attribute Gottes, welche sich wie Blumen im Garten des Universums öffnen. Er destilliert den Nektar, den er gesammelt hat, mit dem Kolben seines empfänglichen und dankbaren Bewusstseins und fühlt sich, als habe sein Blick die Strahlen der Attribute gestreift. Dann träumt er davon, das Göttliche Wesen selbst zu schauen und wird von Schrecken heimgesucht.

Der Autor des Werkes Bustan u Gülistan (Der Garten und der Rosengarten) beschreibt die Gefühle des Schreckens und Erstaunens, denen der Reisende ausgesetzt ist, während er brennt bzw. trinkt:

„Manchmal zeigst Du Dein Schönes Gesicht, aber es ist verhüllt und kann nie ganz geschaut werden,
So spornst Du uns an, unser Bestes zu geben, um Dich erkennen zu können und das Feuer noch anzufachen.
Wenn ich den Geliebten, in den ich mich verliebt habe, unverhüllt sehe,
Geschieht etwas mit mir, und ich komme von meinem Weg ab.
Der Geliebte entzündet ein Feuer in meiner Brust Dass Er dann mit einem Sprühregen löscht.
Darum findest du mich gleichzeitig ausgebrannt und in einem Ozean ertrinkend.

Ismail Haqqi Bursawi stellt uns Reisende vor, die fast unablässig berauscht sind:

„Alle Heiligen sind von dem reinen Wasser, das ihr
Herr ihnen anbietet, berauscht;
Sieben, fünf und vier aber sind von Seinem
Schönen Gesicht bezaubert."[2]

Wenn es dem Reisenden nicht gelungen ist, sein Herz den Erfordernissen seiner Reise und den Geboten der Scharia entsprechend zu präparieren, d.h., wenn er es versäumt, im Lichte der Prophetenschaft zu denken und zu urteilen, während seine Gefühle in der unendlich weiten Sphäre seines spirituellen Zustands umherfliegen, wird er unweigerlich abstürzen: Verwirrung und Bestürzung werden ihn überwältigen, und er wird gegen den Geist der Scharia sprechen und handeln.

Mulla Dschami schildert Schrecken und Erstaunen mit den ihm eigenen lebendigen Worten:

„Die ägyptischen Frauen waren erstaunt und schnitten sich die Hände ab, als sie der Schönheit Josefs gewahr wurden. O Herr! Hätten sie Deine Schönheit geschaut, hätten sie sich die Dolche in ihren Händen in ihre Brüste gerammt. Von der Schönheit Josefs zu sprechen, wo Deine Schönheit gemeint ist, heißt nicht mehr, als Märchen zu erzählen."

Wenn schon eine vergängliche weltliche Schönheit und Vollkommenheit, die nichts weiter als eine durch viele Schleier abgeschwächte Reflexion des unendlich Vollkommenen und Schönen Gottes ist, einen Menschen verführen kann, dann wird uns der verwirrende Schrecken und das Erstaunen, das der Anblick der Schönheit Gottes auslöst, unerträglich sein.

Diejenigen, die es vorziehen, in diesem Leben dem Glauben und dem Koran zu dienen, sollten nicht sämtlichen spirituellen oder körperlichen Freuden hinterherlaufen, sondern stattdessen ihren Dienst an Gott mit Seiner Unterstützung weiter betreiben. Dabei sollten sie sich ihre Ehrfurcht davor und ihr Erstaunen darüber, dass Gott ihnen hilft und ihnen Erfolg schenkt, bewahren. Sie sollten niemals einen anderen Wunsch hegen, als dem Islam zu dienen. Dies ist ein ganz besonderes Geschenk des Erstaunens, das der Armee des Lichts aus Gottes persönlicher Schatzkammer des folgenden Verses zuteil wird:

Wir Selbst verteilen unter ihnen ihren Lebensunterhalt im irdischen Leben.[3]

 


[1] siehe 76:21
[2] Ismail Haqqi Bursawi, Tafsir ar-Ruh al-Bayan, 10.276
[3] 43:32","5567103"

 

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